Oder: gar nicht so einfach, in die Perspektive eines anderen Menschen zu wechseln.
Dieser Gedanke kam mir, als ich stundenlang am Strand von Sankt Peter-Ording lief – genauer gesagt, am Hundestrand. Denn wenn ich schon meine nicht dabeihatte, so war es doch zumindest ein kleiner Trost, andere Fellnasen beim ausgelassenen Spiel zu beobachten.
So richtete ich meinen Blick häufig direkt vor mich in den Sand, anstatt ihn in die Ferne schweifen zu lassen. Denn bekanntlich liegt das Glück ja oftmals so nah. Und da sah ich sie: Dutzende von Fußabdrücken. Mal barfuß, mal vermutlich mit schwerem Schuhwerk. Mit großen Schritten und kraftvoll voraneilend dem Wasser entgegen. In Schlangenlinien oder leichtfüßig mit kleinen Sprüngen zwischendurch. Große und kleine Spuren im Sand. Ich versuchte, der einen und anderen zu folgen, ohne dabei selbst einen Abdruck zu hinterlassen – was sich als relativ schwierig herausstellte. Und dann plötzlich dieser Gedanke: „Gar nicht so einfach, in den Fußspuren des anderen zu laufen“ – im Coaching gerne als Metapher verwendet, um zu symbolisieren, einmal aus der Sicht des anderen die Welt, SEINE Wahrnehmung der Welt zu sehen. Was eben gar nicht immer so einfach ist.
Zu viel ist der Mensch mit den eigenen Gedanken und Emotionen beschäftigt. Pocht auf die eine gültige Wahrheit, die eigene. Lässt selten andere Interpretationen zu und kann sich oftmals auch nicht entschuldigen und mit Rückgrat später sagen, dass er falsch lag. Und dabei wäre dies, zumindest meiner Wahrnehmung nach, oftmals der Schlüssel für ein besseres, entspannteres Miteinander.
Als eine Kollegin vor Jahren zu mir sagte: „Frau Pötz, alles ist Interpretation“, war damals meine Antwort: „Was für ein Nonsens.“ Schließlich wollte ich bzw. mein Ego recht behalten. Die andere Sichtweise auf die Welt war mir in diesem Moment zu mühsam und zu unbequem.
Unbequem, wie Veränderungen sein können.
Irgendwann verstand ich, was sie damals genau meinte und lebe seitdem danach. Und zwar wesentlich freier. Im Kopf und im Herzen. Ist es immer einfach, sich in den anderen hineinzuversetzen? Ein Stück weit in seinen Schuhen zu gehen, seinen Standpunkt nachzuvollziehen und (ehrlich) zu akzeptieren, wenn es auch nicht der eigene ist? Nicht immer, doch ist es immer einen Versuch wert. Für einen selbst. Nicht in erster Linie für den anderen, wie es gerne vorgeschoben wird. „Soll er/sie sich doch verändern.“ Dass mit dieser Einstellung genau das Gegenteil von Selbstbestimmung und innerer Freiheit erzeugt wird, wonach viele (angeblich) doch streben, bleibt dabei unbeachtet. Zu behaglich ist es in der eigenen Komfortzone, zu einfach, sich als „Opfer“ zu sehen und nicht als „Täter“, der damit ebenso seinen Teil dazu beiträgt. So viele sprechen von Empathie, bis es für sie selbst unangenehm wird. Beanspruchen für sich eine große Sensibilität und sind anderen oftmals selbst gegenüber verletzend.
Also, wann haben Sie sich das letzte Mal bewusst in die Schuhe des anderen gestellt und sind einige Schritte damit gelaufen?
Was denken Sie? Sollen wir ein Stück gemeinsam gehen?