Oder:
Was Reiten für Anfänger mit Führung, Teamgeist, Vertrauen und Loslassen gleichermaßen zu tun hat.
„Was hat mich denn da bloß geritten, einen 3-tägigen Reitkurs im Gelände zu buchen?“ Dieser Gedanke ging mir an diesem Donnerstagmorgen, 9 Uhr – irgendwo im Bayrischen Wald – durch den Kopf, als mir unsere Reitführerin mitteilte, wo ich Halfter, Führstrick, Putz-, Zaumzeug, Pad, Lammfell, den Sattel und meinen Schimmel „Domingo“ auf der Koppel finde. „Er hat zwei dunklere Flecken an der Unterbauchseite als Erkennungsmerkmal.“ An dieser Stelle möchte ich gerne anmerken, dass mindestens 15 weiße Pferde selig auf einer weitläufigen Weide grasten – na dann …“
Allein mir dies alles zu merken, war schon die erste Herausforderung, geschweige denn zu wissen, was das alles im Einzelnen war und wie dies am Pferd konkret angewendet wurde.
Gut, dass Humor und Wachstum zwei meiner tiefverankerten Werte und die Fähigkeit, um Unterstützung zu bitten, wenn ich Neuland betrete, meine Lebensbegleiter sind.
Nachdem „Domingo“ gefunden, blitzblank sowie gesattelt sich entspannt von mir seine Nüstern graulen ließ, stand die erste Reitstunde an, bevor es ins Gelände ging. Ja, richtig gelesen: GELÄNDE. Über Stock und Stein, saftige Wiesen (versuchen Sie mal ein Feinschmecker-Pferd vom frischen Klee fernzuhalten) und durch erwachende Wälder.
Wie komm ich bloß auf „Domingo“ hinauf?“, war gleich eine weitere meiner gedanklichen Fragen.
Die Antwort folgte prompt. In Form eines Baumstammes, von dem aus es sich sanft, elegant und schwungvoll in den Sattel schwingen ließ – so zumindest meine Wahrnehmung. Doch die kann aus einer anderen Perspektive auch anders gewirkt haben. Doch egal, ich saß und ca. 400 kg Pferdekörper bewegten sich geschmeidig nach vorne. Dabei hatte ich gar nichts gesagt. Doch wie wir wissen, gibt es ja noch die (in meinem Fall wohl unbewusste) Nonverbale-Kommunikation.
Nach diversen Einführungen und aktiven Übungen, wie wir unsere Pferde nach links, rechts, zum Anlaufen und Halten bewegen konnten, öffneten sich die Platzschranken und wir ritten los. Mit einem breiten Lächeln im Gesicht und einer gesunden Portion Respekt und der positiven inneren Haltung: „wird schon alles gut gehen.“ Und das ging es – immer besser, sodass nach ein paar Stunden (und einer Rast für Reiterinnen und Pferde) eine immer größer werdende Synchronität sich ausbreitete. Ich beobachtete „Domingo“ genauso achtsam wie die Landschaft, die, im gemütlichen Schritttempo, an mir vorbeizog. Ich fasste zunehmend mehr Vertrauen in meinen Begleiter. Wir umschifften und meisterten gemeinsam Schlaglöcher, stiegen trittfest über querliegende Äste und schnauften genüsslich durch. Er laut, ich eher im Stillen. Ich schloss zwischendurch meine Augen, um noch mehr seine Gangart zu spüren. Ich ließ immer mehr los, übernahm jedoch die Führung, wenn die Gefahr bestand, dass wir auf den vorderen Pferdehintern auflaufen würden – vielleicht wollte er auch nur seinen Kopf ablegen, weil ihm die Gangart zu langsam war – wer weiß? …
Der erste Tag war geschafft. Alle waren wieder wohlbehalten zu Hause angekommen. Nun hieß es belohnen, absatteln und ab zu den anderen auf die Weide – zum wohlverdienten Feierabend.
Tag 2: Neues Pferd, neue Route, neue Menschen und Gegebenheiten.
„Lady“, die Schöne und Besonnene sowie 14 Anfänger, Wiedereinsteiger und ängstliche Reiter durchliefen dieselben Abläufe wie am Vortag – und doch war es anders und das Andere hieß „Bonita“. Eine willensstarke Stute, die sich ihren eigenen Pferdehintern aussuchen wollte, dem sie an diesem Tag folgen wollte. „Lass sie“, war die, für meinen Teil, kluge Aussage unserer Reitführerin, die die Pferde aus dem Effeff kannte. Also ließ die Reiterin sie und es kehrte Ruhe ein. Doch Bonita galt es, im Auge zu behalten, denn ich war mit „Lady“ zusammen diejenige, die ihr in den kommenden Stunden hinterherritt – na großartig. Doch mit dem Vertrauen in die Reitführerin, Bonitas Reiterin, die eine sehr geübte Wiedereinsteigerin war und immer besser mit ihrer Stute zurechtkam, meinem Vertrauen in „Lady“ und in meine gestrigen Erfahrungen war auch dieser Tag am Ende ein glückseliger.
Und Dank meiner Vorbereitung, „Franzbranntwein“ einzupacken und mich jeden Abend ordentlich und damit vorbeugend einzureiben, hielt sich auch mein Muskelkater (bis auf die Sitzbeinhöcker) erstaunlicherweise in Grenzen. Dafür nahm ich den einen oder anderen herzhaften Lacher über meinen „Wein“ gerne ebenso humorvoll zur Kenntnis.
Am Ende des zweiten Tages ließ ich meine Erlebnisse bei einem fantastischen Sonnenuntergang und den Pferden vor dieser Kulisse Revue passieren. Was soll ich sagen? In Zukunft werde ich an der einen oder anderen Stelle in meinen Business-Coachings für Führungspersönlichkeiten und Teams jede Menge Erkenntnisse mit einfließen lassen.
Die Ähnlichkeiten zwischen Reiten im Einzelnen und in der Gruppe sowie das Thema Führung und Teamspirit sind wirklich spannend. Bitte richtig verstehen! Diese sollen lediglich Parallelen und nicht die Reiter als Führungspersönlichkeiten und die Pferde als Mitarbeiter per se darstellen.
Phase:
Neuland & Orientierung
Manch einer kommt bisher als Teammitglied oder auch ganz neu in eine Führungsposition – betritt also Neuland und darf (oder auch muss) sich die Zeit nehmen dürfen und können, um sich zunächst zu orientieren. Ähnlich wie an meinem ersten Tag, um zu wissen, wo was zu finden ist und wie die Abläufe sind.
- Wie wird was genau gehandhabt?
- Wer hat welche Erfahrungen und wie werden diese bisher eingesetzt?
- Was lief bisher gut?
- Wo und aus welchen konkreten Gründen sieht der Einzelne eventuell Veränderungsbedarf in den Abläufen?
- An wen kann ich mich wenden, um mich schnellstmöglich effizient zurechtzufinden?
- Wer kann mir am Anfang die Sicherheit bzw. relevanten Informationen in noch unklaren Fragestellungen und Umgangsweisen geben?
Phase:
Teammitglieder / Persönlichkeitsmerkmale & Bedürfnisse
Habe ich als neue Führungspersönlichkeit die Zeit und bekomme ich diese auch gewährt, um eine persönliche Ebene zu meinem Team aufzubauen? Ähnlich wie ich die Zeit bekam, mich mit „Domingo“ am ersten und „Lady“ am zweiten Tag vertraut zu machen.
- Wer ist alles in meinem Team? Kann ich mir die Zeit nehmen, um den Einzelnen besser und möglichst intensiver, anstatt nur oberflächlich bei einer Flasche Willkommenssekt und Häppchen, kennenzulernen?
- Wer ist skeptisch? Wer ist offen für Veränderungen?
- Wer hat welche Werte bzw. wer versteht denn was genau unter Wertschätzung? Der eine mag es gerne, oberhalb der Nüstern gekrault zu werden, der andere lieber am Hintern. Ein anderer wiederum mag keine Berührungen, dafür lieber die Karotte oder sich aussuchen zu dürfen, wo er sich gerne einreihen möchte (so wie „Bonita“ …).
- Wer versteht sich mit wem und wer kann partout nicht mit der Kollegin oder dem Kollegen? Sind die Gründe bekannt? Ich sag nur … genau „Bonita“.
- Welche erfahrenen Menschen kann ich mir in welchen Situationen an meine Seite stellen? Sozusagen als zweite oder dritte Perspektive zu meiner Wahrnehmung?
- Welches Teammitglied benötigt welche Führungsform? Müssen oder wollen alle in einer Reihe laufen oder sind auch Ausreißer erlaubt, weil diese Freiheit unterm Strich mehr Raum schafft? Denn als „Bonita“ an ihrem selbstbestimmten Platz laufen durfte, kehrte Ruhe und gleichzeitig Bewegung ein.
- Wer tickt wie und wie ticke ich als Mensch und in diesem Team als Führungspersönlichkeit im Speziellen?
Phase:
Der Weg ist das Ziel
- Gibt es einen vorgezeichneten Weg oder darf auch der Umweg genommen werden?
- Jeder in seinem Tempo oder ohne Pausen? Denn auch bei uns gab es Situationen, in denen die Gruppe aufeinander wartete. Sei es, weil eines der Pferde „kurz austreten musste“ (nicht im wörtlichen Sinne zu verstehen) oder weil einer Reiterin der Waldweg zu steil war und sie ein langsameres Tempo für die Böschung benötigte. Eine für alle und alle für eine.
- Gibt es ein gemeinsames „WARUM?“ oder wird irgendwie gearbeitet? Alle in eine Richtung, wenn auch nicht wie die Lemminge in einer Reihe oder kunterbuntes Durcheinander?
- Ist das Ziel oder sind die Ziele überhaupt jedem bekannt und sind diese stimmig für den Einzelnen?
Und, und, und …
Unterm Strich geht es um Gemeinschaft und Verbundenheit. Egal, ob in der Position der Führungspersönlichkeit oder als Teammitglied. Es geht darum, dass es auch einmal zum Muskelkater kommen und unbequem werden kann, weil ungewöhnliche „Bewegungen“ stattfinden. Und ja, es geht vielleicht auch einmal um einen Sturz und dann um den Zusammenhalt und das Aufstehen – oder Hochziehen, je nachdem.
Es geht um Vertrauen, Einlassen, Loslassen und um Verantwortung übernehmen. Und den richtigen Zeitpunkt, wann welches Verhalten den Menschen und das Team voranbringt. Um ein Tempo, bei dem jede*r Schritt halten kann. Um variable Wege, wenn der bisherige zu steinig, zu schwer, zu eng oder schlichtweg nicht mehr zu halten ist.
Jede und jeder ist einzigartig. Ein Unikat. Also lassen Sie uns gemeinsam wieder mehr unseren Fokus darauf legen, was das Menschsein bedeutet, ohne dabei die Ziele aus den Augen zu verlieren. Das geht, wir dürfen uns einfach mehr trauen loszugehen – oder zu reiten. 😉
Danke für diese Erfahrung „Domingo“ & „Lady“. Für immer mit einem Platz in meinem Herzen. 💗